Hinter Motocross-Schutzbrillen steckt mehr Design und Finesse, als du vielleicht denkst. Scott Sports teilt ein paar Geheimnisse mit uns …
Schutzbrillen werden irgendwie über den Helm gespannt, gnadenlos mit umherfliegenden Objekten beschossen, von Motocross-Fahrern während des Rennens weggeschmissen und dennoch mit Liebe vorbereitet und zusammen mit alten Helmen wie Trophäen aufbewahrt. Oft bekommen sie nicht die Anerkennung, die ihnen zusteht, obwohl sie Teil der absolut notwendigen Ausrüstung für alle sind, die auf einem steinigen Pfad hinter einem Freund oder Konkurrenten herfahren oder im Regen über eine schlammige Rennpiste pflügen.
Der Markt bietet eine überwältigende Auswahl und mehrere Optik-Marken haben sich auf solche Brillen spezialisiert. Diese können dann 50 Euro kosten und nur ein paar Rennen lang halten oder man gibt dreimal so viel aus und bekommt dafür ausgeklügelte Technik geliefert. Scott Sports hält die Fahne für hochwertige Technik bei Schutzbrillen für Motorräder und Snowmobile hoch und tut sich seit drei Jahrzehnten mit neuen Konzepten und Innovationen wie auf die Gesichtsform abgestimmte Brillenrahmen, Scheibeneinrastsystem und einem breiten Sichtfeld hervor.
Die amerikanisch-schweizerische Firma hat eine starke Verbindung zu KTM. Seit vier Jahren hat Scott einen speziellen Platz im KTM PowerWear-Katalog und bietet Produkte für die Enduro- und Motocross-Fahrer des Red Bull KTM Factory Racing Teams, liefert also die renn-erprobten und zuverlässigen Brillen für so große Talente wie Josep Garcia, Nathan Watson, Jorge Prado, Tom Vialle und Rene Hofer.
Und dann gibt es noch eine weitere, etwas skurrilere Verbindung: Im österreichischen Mattighofen in Österreich werden nicht nur die besten Offroad-Bikes der Welt hergestellt, auch Scotts wichtigste Brillen-Produktionsstätte in Europa befindet sich hier. Nur ein paar Kilometer vom KTM-Werk entfernt befindet sich GBM Kunststofftechnik & Formenbau mit etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wovon die Hälfte mit fast 50 Jahren Erfahrung im Formendesign Brillen für Scott herstellt. Im Vollbetrieb laufen bei GBM pro Jahr fast 1.000.000 Brillen vom Band.
Es ist ungemein interessant, zu sehen, wie eine Brille wie die Scott Prospect – und das neue Fury-Modell – sich von einer komplexen CAD-Zeichnung zu einem fertig verpackten Produkt entwickelt. So eine Schutzbrille sieht vielleicht aus wie ein Klumpen farbenfrohes Verbundmaterial, Kunststoff und Stoff, tatsächlich aber fließen vom Konzept über das Design bis hin zur Produktion bis zu drei Jahre in ihre Entwicklung. Dann kommen noch kleine Verbesserungen hinzu, um sicherzugehen, dass sie auf möglichst viele Köpfe und Helme passt. Die Prospect-Brille muss Schutz bieten und gleichzeitig verhindern, dass Schweiß, Staub und Sand in die Augen des Fahrers geraten. Außerdem muss sie optimale Sicht und eine Scheibe bieten, die nicht sofort anläuft, sich nicht verzieht und sogar auf die Lichtverhältnisse in der Umgebung reagiert. Sie muss sicher auf dem Gesicht des Fahrers und auf seinem Helm sitzen. Sie muss Luft ab- und zuleiten. Sie muss vielseitig und effektiv sein, wenn es um Abziehfolien geht. Und zu guter Letzt muss sie cool aussehen und zu den Grafiken am Bike und dem weiteren Equipment passen. Für manche Fahrer ist das sogar der wichtigste Aspekt.
Alles beginnt mit einer Gussform aus Stahl. Fünf bis sechs Leute arbeiten bis zu drei Monate lang an der Entwicklung dieses großen Metallklumpens, in dem später die Prospect-Brille gegossen wird. Der Stahl wird manchmal auf einen Tausendstel Millimeter genau geschliffen und hat eine genau bestimmte Kontur. Die kompliziertesten Gussformen kosten bis zu einer Viertelmillion Euro: Fehler darf man sich da nicht erlauben! Diese Stahlformen müssen einem Druck von 400 Bar widerstehen können und werden zur Herstellung von Abertausenden Brillen pro Monat verwendet. Sobald Scott einen Nachfolger für die Prospect entwickelt, wie es bei den Modellen Tyrant und Hustle geschehen ist, dann wandert die Gussform in ein Lager und wird in einem ‚Archiv‘ aufbewahrt. Scott könnte so eine 30 Jahre alte Brille wieder produzieren, wenn man das wollte.
In der Produktion wird ein farbiges Harz bei 220 Grad in die Gussform gegossen. Kurze Zeit später und auf ein Viertel davon abgekühlt, kommt der Rahmen der Brille heraus. Die Farben des Harzes, das für die Prospect-Rahmen verwendet wird, werden von Scott & GBM aus einer breiten Palette ausgewählt. Das Material kann auch abgeändert werden, damit die Rahmen fast unzerstörbar und flexibel zugleich sind. Ein Beispiel dafür ist das Material rund um den Nasensteg.
Für die ausgefallensten Farbgebungen greifen Scott/GBM auf eine Technik namens Water Transfer Decoration zurück. Dabei wird ein dünner Film aus Farben und Designs auf die Wasseroberfläche in einem Tank aufgebracht und eine Charge Brillenrahmen wird in die Lösung getaucht. Danach werden sie getrocknet, gewaschen (um überschüssigen Film zu entfernen), nochmals getrocknet, lackiert und wieder getrocknet. Die kleinen Unregelmäßigkeiten dieses Verfahrens bedeuten, dass jede Brille beinahe ein Unikat darstellt.
Auf die trockenen Rahmen wird dann per Hand der hauseigene Dreifach-Schaum aufgebracht. Sodann laufen die Brillen am Fließband weiter zur Scheiben-Station, wo die Scheiben von GBM-Mitarbeitern eingerastet werden. Die extrem leichten TruView-Scheiben werden aus riesigen Lexan-Platten (Polykarbonat) herausgeschnitten und dann mit einer kratzfesten und Anti-Beschlag-Beschichtung versehen. Die Prospect-Brille ist in 10 verschiedenen Farben erhältlich. Wenn die Scheiben erst einmal in der gewaltigen Presse ausgestanzt und zur weiteren Verwendung gestapelt wurden, werden sie erhitzt und in die Rahmen eingeklemmt, wo dann das innovative Einrastsystem mit seinen vier Stiften zum Einsatz kommt.
Die Scheiben müssen im Werk einen strengen (und spektakulären) Ballistik-Test bestehen. An einer Station werden Proben der Scott-Brillen aus wenigen Metern Entfernung mit 3 mm großen Stahlkugeln, die mit 112 Metern pro Sekunde abgefeuert werden, beschossen. Die Kugeln verursachen eine Delle, zerbrechen die Scheibe aber nicht. Somit sind sie fast dreimal so widerstandsfähig, wie es die CE-Verordnung für Motocross-Brillen vorschreibt, und mehr als 50 % stärker, als es Visiere an Helmen für die Straße sein müssen. Die Sicherheitsparameter bei Scott sind daher wesentlich höher, als sie mindestens sein müssten. Der Anspruch an maximale Sicht wird bei einer zweiten Prüfung bei GBM deutlich, bei der ein Laser zum Testen der Klarheit der Scheibe zum Einsatz kommt. Er misst die UV-Strahlung (alle Prospect-Scheiben bieten 100 % UV-Schutz) und – als letzter Schritt der Qualitätskontrolle – erkennt Verzerrungen und Fehlausrichtungen.
Im letzten Raum vor der Verpackung stehen die großen Maschinen, die kilometerlange, auffällig gestaltete Bänder ausspucken. Auch das fortschrittliche und gut geschützte Verschlusssystem von Scott, auf das das Unternehmen zu Recht stolz ist, wird hier produziert.
Die Top-Brillen der verschiedenen Hersteller sind in den letzten zehn Jahren nicht günstiger geworden, mit einer Prospect oder einer Front Line von Oakley oder einer Armega von 100% bekommen Fahrer aber ausgeklügelte und präzise entwickelte Produkte, die bei einem Rennen, einer Rally oder einer Sonntagsfahrt den entscheidenden Unterschied machen könnten.