2021 stößt ein neuer MotoGP™-Fahrer zu Red Bull KTM Factory Racing und die Zusammenstellung des Teams beginnt aufs Neue. Wir haben Crew Chief Paul Trevathan gefragt, was es bedeutet, den nächsten Grand-Prix-Superstar aufzubauen.
Innerhalb der vier Jahre, in denen Red Bull KTM Factory Racing bereits in der MotoGP™ antritt, fuhren vier verschiedene Fahrer für dieses Team. Einer davon blieb der Mannschaft all die Jahre treu und ist für die Meilensteine der noch jungen KTM RC16 verantwortlich. Pol Espargarós Team wurde von Paul Trevathan angeführt, der schon seit einem halben Jahrzehnt Teil der KTM-Maschinerie ist und bereits vorher in der MXGP und für einen Federungshersteller tätig war. Die Kombination aus dem aggressiven und energischen Katalanen und dem lockeren Kiwi half dem Werk dabei, seinen Abstand auf Konkurrenten mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung in der Königsklasse zu verkürzen.
Während sich Espargaró in der kommenden Saison einer neuen Herausforderung stellen wird, bleiben Trevathan und seine Mannschaft KTM erhalten und freuen sich bereits auf den Zugang von Portugals erstem MotoGP™-Fahrer und dem aktuellen Red Bull KTM Tech3-Piloten Miguel Oliveira. Ihre Aufgabe wird es sein, dem 25-Jährigen dabei zu helfen, seine Performance zu verbessern (nachdem er bereits in seiner Rookie-Saison 2019 Top-Ten-Zeiten hingelegt hat) und den Weg der Entwicklung, der mit Espargaró begonnen hatte, weiterzuführen. Trevathan weiß, dass dafür eine effektive Chemie zwischen ihm und seinem Fahrer notwendig sein wird – innerhalb und außerhalb der kleinen MotoGP™-Boxen in aller Welt.
„Besonders, wenn es Druck gibt, muss man das Geschehen um den Fahrer herum ständig beobachten“, so Trevathan. „Man muss wissen, was man wann sagen muss: Ob er etwas gepusht oder beruhigt werden muss. Worum man ihn bitten kann. Man muss diese Momente respektieren und kann dann enge Bande aufbauen. Damit schweißt man ein großartiges Team zusammen und schafft gute Beziehungen. Es gibt Fahrer, die sehr offen sind, und andere, die so stark verzweifeln, dass man sich fragt, wie man ihnen aus diesem Loch nur heraushelfen kann. Das alles spielt eine wichtige Rolle.“
Trevathan hat gelernt, mit den Erfordernissen und der Komplexität von Spitzensportlern umzugehen. In der hochtechnisierten und riskanten Welt der MotoGP™ geht es um Millisekunden, die Fahrer selbst unterscheiden sich aber in ihrer Mentalität mindestens ebenso stark wie in ihren Fähigkeiten, ein Motorrad am Limit zu bewegen. „Diese Jungs verbringen so viel Zeit damit, sich zu verbessern und den Glauben daran nicht zu verlieren, eines Tages Weltmeister zu sein. Am Rennsonntag aber müssen sie ganz alleine auf die Strecke gehen und zeigen, wie gut sie wirklich sind“, erklärt er. „Vor diesem Teil ihrer Arbeit habe ich großen Respekt und ich möchte ihnen helfen, mit diesem Gefühl fertigzuwerden. Ich bin nicht nur dazu da, sie mit der technischen Seite zu unterstützen, denn das macht oft nur einen kleinen Teil des Ganzen aus. Ihre Arbeit ist nicht einfach und für mich ist es interessant, ihnen mit den anderen Faktoren zu helfen. Wenn man sich auf der emotionalen Ebene gut versteht, kann man ein fantastisches Team aufbauen.“
Trevathan meint, dass „der Fahrer den Ton angibt und wir versuchen, ihm das beste Werkzeug zur Verfügung zu stellen“. Als Crew Chief muss er aber auch sicherstellen, dass sieben bis acht Leute und die gewaltigen Ressourcen von KTM harmonisch zusammenarbeiten. Die gesamte Struktur muss wie ein gut geöltes Getriebe funktionieren. „Als Crew Chief misst man seinen Erfolg daran, wie gut die persönliche Seite funktioniert: Man muss die Zügel in die Hand nehmen und für jeden da sein. Wir kommen alle aus verschiedenen Ländern und haben einen anderen Charakter; all das unter einen Hut zu bringen, ist extrem wichtig.“
„Wir sind in der glücklichen Position, gleich am Anfang des Projekts einige gute Leute engagiert zu haben und sind als Team gewachsen“, fährt er fort. „Es ist eine schöne Mischung: Wir haben Mechaniker mit vielen Jahren Erfahrung und andere mit technischen Abschlüssen und Qualifikationen, die ihnen erlauben würden, bei der NASA anzuheuern! Da dabei zu sein und das Beste aus diesen Leuten herauszuholen, war eine wertvolle Lektion für mich.“
Espargaró hat sich schon mehrmals positiv zur ‚menschlichen‘ Seite des Teams geäußert. Dank seiner guten Vorbereitung konnte sich der ehemalige Moto2™-Weltmeister von den letzten Reihen der Startaufstellung und einem Rückstand von zwei Sekunden auf die Schnellsten in Katar im Jahr 2017 bis 2019 auf eine Zeit verbessern, die nur mehr wenige Zehntel hinter den Spitzenfahrern lag.
„Pol hatte recht“, so Trevathan. „Wenn jemand etwa einen Test verpasst und ein anderer Fahrer einspringen muss, dann funktioniert das reibungslos. Wir haben die passende Atmosphäre im Team, in der Fahrer entspannen und einfach ihren Job machen können. Wir bleiben cool und implementieren Änderungen richtig: Solche Dinge helfen enorm. Diese Einstellung hat man einfach oder man hat sie nicht. Natürlich kann man besser darin werden, mit gewissen Situationen umzugehen, heutzutage macht das richtige Managen von Menschen aber einen riesigen Teil des Jobs aus.“
Trevathan ist locker, fröhlich und freundlich. Man kann sich ihn kaum gestresst oder verärgert vorstellen und obwohl das Red Bull KTM Factory Racing schwierige und frustrierende Momente erlebt hat, hat es einen Weg gefunden, den härtesten Konkurrenten und dem Druck der Öffentlichkeit standzuhalten. Auf jeden Podestplatz, wie jenen in Valencia 2018, und jede großartige Zeit im Qualifying folgten Rennen, bei denen KTM von Grip-Problemen oder Defekten geplagt wurde – zum Beispiel dem, der Espargarós Rennen auf dem Red Bull Ring 2019 beendete. Trevathan versucht, die enge und wichtige Beziehung zu seinen Fahrern aufrechtzuerhalten. „Arbeit ist Arbeit, aber es muss auch Zeit zum Entspannen geben. Pol hat einen ähnlichen Charakter“, so Trevathan. „Er ist mein Fahrer, aber auch mein Freund und fast so etwas wie ein Sohn für mich: Ich will ihn ‚beschützen‘, denn dieser Typ kennt keine Grenzen.“
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Espargaró wird mit seinem Talent und seiner brutalen Kraft in die Geschichtsbücher von KTM eingehen. „Er teilte uns immer eine Rundenzeit mit und am Anfang konnten wir anhand dessen, ob er schneller oder langsamer war, einschätzen, wie gut oder schlecht es ihm erging“, erklärt Trevathan. „Das blieb so und er hat uns niemals in eine falsche Richtung geführt. Waren seine Einstellungen für jeden Fahrer geeignet? Vielleicht nicht, aber wir hatten nie das Gefühl, etwas ‚Falsches‘ getan zu haben. Er hatte ein gutes Gefühl für das Ansprechverhalten des Motors und die Entwicklung.“
In diese Fußstapfen wird Oliveira nun treten müssen. Oliveira ist derzeit dabei, bei Red Bull KTM Tech3 die MotoGP™ kennenzulernen und ist KTM schon seit den Tagen, in denen er in der Moto3™ und der Moto2™ Rennen gewonnen hat, treu. Diese Vertrautheit ist ein wertvoller Faktor und bedeutet, dass Trevathan bereits jetzt weiß, was auf ihn zukommen wird. „Miguel macht auf mich den Eindruck eines sehr intelligenten Mannes und ich kenne ihn schon jetzt ganz gut“, sagt er. „Im Jahr 2015 war ich für den Track Support bei KTM verantwortlich und ich arbeitete im Red Bull KTM Ajo-Team mit ihm und Brad [Binder]. Dieses Lineup wird für uns also nicht neu sein! Es wird interessant werden, zu sehen, ob wir mehr aus Miguel herausholen können, als er bis jetzt gezeigt hat, obwohl er schon sehr gut ist. Ich freue mich auf die Herausforderung und darauf, zu erleben, ob wir mit ihm unser Niveau halten oder sogar verbessern können.“
Abgesehen von Resultaten und Anerkennung ist Verbesserung Trevathans wichtigstes Ziel für 2021. Da es für Brad Binder erst die zweite Saison in der MotoGP™ sein wird, fällt die Aufgabe, Espargaró zu ersetzen, primär in Oliveiras Hände. „Wir sind überzeugt davon, dass er bereit ist“, sagt Trevathan. „Er wird lernen müssen, Pols Aufgaben zu übernehmen und vielleicht mit Druck von unterschiedlichen Seiten zu leben.“
Die Bedürfnisse des Fahrers, des Teams und des Werks zu vereinen, ist ein weiterer Faktor auf dem Weg nach vorn. Oliveira fehlen vielleicht die Ergebnisse in der Königsklasse, die ein Johann Zarco vorweisen kann, sein Gefühl für die Methoden und Philosophie von Red Bull KTM ist aber ein enormer Vorteil, den er gegenüber jedem neu ins Team stoßenden Fahrer ausspielen kann. „Ich glaube, dass Johann ins Team gekommen ist und geglaubt hat, dass ihm alles auf dem Silbertablett serviert würde. Ihm war nicht klar, dass er die Entscheidungen selbst würde treffen müssen“, verrät Trevathan. „Wir können Fahrern das Werkzeug in die Hand geben, aber um dieses besser zu machen, ist Arbeit nötig. Wenn wir beispielsweise mit Pol in Sepang testen, dann fährt er an jedem [der sechs] Tage und kann nur dann etwas für sich selbst tun oder erarbeiten, wenn wir ihm einen neuen Reifen geben. Den Rest der Zeit verbringt er damit, verschiedene Dinge am Bike auszuprobieren, und am Ende jeder Sitzung analysieren wir, was funktioniert und was wir über den Rest des Jahres verwenden: Die Arbeitsleistung ist enorm! Ich bin gespannt darauf, wie Miguel das meistern und wo er uns hinführen wird.“